strandgut
Dienstag, 1. April 2003
7:52 - 7:57

Gestern ging ich, es muss 7:52 gewesen sein, zu der Busstation. Es beschäftigen einen ja so manche Dinge, wenn man frühmorgens sich auf den Weg macht. Die meiste Zeit bin ich hauptsächlich damit einvernommen, kleinen Steinen auf dem Gehsteig geschickt auszuweichen. Denn: meine Schuhe haben Löcher. Also Löcher, das sagt meine Mutter immer. Ich würde eher Spalt dazu sagen. Dieser Spalt, jeder Schuh, links und rechts, hat einen, ist ja nicht sehr groß. So groß halt, dass eben gerade ein Stein hineinpasst. Überhaupt, die Stadt Wien streut ja viel zu viel von diesem Zeug auf die Strassen.
So bin ich halt damit beschäftigt, diesen Stellen auszuweichen. Oder zumindest so zu umgehen, dass ich vollends mit der Sohle darauf trete, und nicht irgendwie seitwärts auch. Denn dort, dort befindet sich der Schuhspalt. Das ist allerdings recht schwer, da mein gewohntes Schlendern meist auch die seitliche Außenseite des Schuhs umfasst.
Dieser ganze, für diese Uhrzeit viel zu anspruchsvolle, Prozess, wird zusätzlich noch erschwert. Nebensächlich nämlich, versuche ich best möglichst meine Augen offen zu halten. Auch dies, ebenfalls größtenteils Uhrzeit bedingt, ist meiner Ansicht nach überfordernd, und erschwert den Prozess des Steineausweichens erheblich. Egal.
Nun ging ich da meine Straße hinunter. Und auf meinem 5-minütigem Weg zur Busstation, zeigen sich noch mehr Phänomene. Eines davon habe ich erst kürzlich gelöst, jawohl.
Also, ich geh da ja so immer. Im Normalfall passiert auf diesen Straßen nichts besonderes. 13-ter Bezirk, sicherster Bezirk Wiens, Wien, zweitsicherste Stadt der Welt, blabla. Es passiert wirklich nichts. Nur auf meinem Weg zur Busstation, stets in der Vitusgasse, da passiert immer was. Zumindest ich find das spannend, ja, erstaunlich. Vielleicht kennen einige die Vitusgasse nicht, auf jeden Fall, die geht so runter. Ein bisschen schräg, ich würde nicht den Winkelbetrag wissen, so halt, dass man in leichter Schräglage abwärts geht.
Dort geh ich täglich hinunter, immer zwischen 7:54 und 7:56 ungefähr. Und fast täglich kommt mir hier auch wer entgegen, nämlich immer derselbe! Es handelt sich um einen, der zu großer Wahrscheinlichkeit sich auch auf dem Schulweg befindet (sein Rucksack, stets schwer beladen, lässt darauf schließen, und außerdem, er schaut einfach danach aus). Derjenige, ich treffe ihn nunmehr schon seit mehr als einem Jahr fast immer auf der selben Stelle, scheint in völligem Gegensatz zu mir zu gehen.
Natürlich: Er geht aufwärts, ich gehe abwärts. Aber: es gibt noch mehr Gegensätzliches!
Er zum Beispiel, geht sehr aufrecht. Mir scheint es fast so, als täte er immer in einem rechten Winkel zum Meeresspiegel gehen. Das ist aufwärts nicht so leicht. Und: Seine Beine scheinen immer gestreckt. Das ist aufwärts auch nicht so leicht. Doch das seltsamste ist, dass er sehr seltsam zu sein scheint. Denn, jetzt einmal abgesehen von seiner Gangweise, von seinem Aufrecht gehen, von seinem, fast zu offensichtlichem, Aufbrüsten, wenn ich ihm begegne, und seiner mir überlegen Größe, über die ich aber zu lächeln weiß, denn die gleicht sich aus (Schon vergessen? Ich gehe abwärts, er aufwärts), abgesehen davon, scheint er in Kreisen zu gehen, ja. Um die Lage besser zu beschreiben: Ich gehe abwärts, zur Busstation. Er geht aufwärts, biegt danach rechts ab (das konnte ich im Geheimen beobachten). Er geht also in die völlig entgegengesetze Richtung! Doch: Bin ich unten bei der Station angekommen, steht er bereits da, auf der gegenüberliegenden Seite!
Es stellt sich also die Frage, wie er denn das macht. Er müsse, nachdem mein Blickwinkel sich mit dem Häuserblock überschneidet, und ihn verdeckt, mit einer dermaßen Geschwindigkeit um den Häuserblock zu laufen beginnen, dass es eigentlich nicht möglich sei. Außerdem scheint er, wenn er da steht, bei der Station stets gelassen (Die Steife, meeresspiegelsenkrechte Haltung wird jedoch beibehalten), in keinster Weise außer Atem.
Überhaupt, wie sei es möglich für ihn, denn zu laufen. Eine lockere, sportliche Haltung könnte ich ihm mir nicht andenken. Es musste also eine andere Lösung geben.
Natürlich kamen mir in meiner Busfahrt sämtliche skurrile Lösungswege in den Kopf, doch das sind andere Geschichten. Die wahre Lösung nämlich, die ist viel viel einfacher.
Durch Zufall kam ich darauf.
Denn, eines Tages, da ging ich früher von zuhause fort. Besagte Person, die ich sonst immer in der Vitusgasse antreffe, müsste ich also dieses Mal später antreffen (Einen spontanen Zeitplan, dass er sich auch verspäten könnte, erwartete ich nicht). Und ich traf ihn wirklich früher. Doch: nicht alleine; Sein Zwillingsbruder war mit ihm! Ja, wirklich. Nun, die Lösung kann sich wahrscheinlich jeder vorstellen, ganz einfach! Zur besseren Verständnis werde ich es jedoch trotzdem erklären. Also: Bruder A geht aus dem Haus, mit Bruder B. Beide gehen, in strammer Haltung, stets aufrecht, bis zu der Kreuzung Vitusgasse. Dort biegt A links ab, B geht nach rechts, zur Busstation. A begegnet mir, stiftet unsägliche Verwirrung, liefert Material für eine Kurzgeschichte, und geht weiter, zur Schule. B ist inzwischen bei der Busstation angelangt, steht dort, stramm, aufrecht, nicht außer Atem, nicht gerannt, stiftet unsägliche Verwirrung, kommt aber nur gegen Ende der Kurzgeschichte namentlich vor.
So habe ich das Rätsel gelöst.

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