strandgut
Montag, 29. März 2004
Heinz (schon wieder ein Paarhufer)

Heinz stand im hohen Gras und kaute. Dies war nichts ungewöhnliches, er stand immer mittags im hohen Gras und kaute.
Das Gras reichte ihm fast bis zur Hüfte, es kitzelte seinen Bauch und berührte um ein Haar seine Schultern, und Heinz genoss das Gefühl, frei von Stress und Verpflichtungen im hohen Gras zu stehen und zu kauen.
Zur gleichen Zeit, an einem anderen, sich rasch nähernden Ort, saß Walter und nahm eine in Aluminium und Plastik verpackte Huhn-Reis-Komposit-Fertigmahlzeit zu sich, die in der Dampfgarschnellkochhochdruckerhitzomatikküche individuell für ihn und die 341 anderen Passagiere, mit denen er sich seinen momentanen Aufenthaltsort teilte, mit Liebe schnellerhitzt wurde.
Heinz stand im hohen Gras, kaute, dachte über denn Sinn des Lebens nach und berechnete die Anzahl der Protonen in einem durchschnittlichen Savannengrashalm.
Walter stellte die Lehne seines Sitzes um einige Zentimeter aufrechter, klappte die braune Plastikebene, die ihm bisher auf den Oberschenkeln gelegen hatte und deren Kante sich in seinen durch die zuvor eingenommene Mahlzeit ohnehin unruhigen Verdauungstrakt drückte, nach oben und zwängte seinen kurzzeitig entlasteten Magen-Darmtrakt in die Enge eines Sicherheitsgurtes. Rund zwanzig Minuten später, zur gleichen Zeit als seine Koffer auf dem Weg zum Förderband aufgeschlitzt und nach wertvollen Designerkleidern, Schmuck, Bargeld, Alkohol oder doch wenigstens ein wenig Seife durchsucht wurden und Heinz sich entschied, einen Schluck Wasser zu trinken, wurde Walter von einer freundlichen Frauenstimme auf Terminal 3 des Johannesburg International Airport willkommen geheißen und auf die Lage der Abfertigungsschalter, Toiletten und der Passkontrolle hingewiesen.
Heinz entschied sich ungeachtet des Wutausbruches, der Walters Entdeckung seiner bis auf die Reserveknöpfe ausgeräumten Koffer begleitete, einen kurzen Nachmittagsschlaf einzulegen.
2 Tage später hatte Walter sich erneut mit einer kompletten Neokolonialherrenstaffage ausgestattet und befand sich in einem allradgetriebenen Geländewagen, mit einer Flinte, einem Jagdschein und einer Anzahl von scharwenzelnden Bediensteten, die seinem persönlichen Umgang mit Minderwertigkeitsgefühlen zugute kamen.
Das peitschende Knallen der Flinte zerriss die flirrende Stille der mittäglichen Savanne und riss Heinz aus seinem untätigen Dösen direkt in einen Tunnel, immer tiefer und tiefer und tiefer….
Und so war Heinz, der größte Mathematiker und Pazifist des Universums, der unglücklicherweise im Körper eines Paarhufers das Licht der Welt erblickte, dazu verdammt, seine sterblichen Überreste im Salon eines englischen Großwildjägers verstauben zu lassen.

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Der verantwortungsvolle Moschusochse

Die Verantwortung eines Moschusochsen ist eine große, ihm obliegt der Fortbestand der neben dem Grottenolm seltsamsten Tierart auf Gottes Erden, zugleich hat er das mongolische Steppengras gleichmäßig kurz zu halten und er muss sich tunlichst um die artgerechte Verzottelung seines Felles kümmern.
Gegen halb acht erhebt sich der Moschusochse mit dem Gedanken an ein ausgedehntes Frühstück aus saftigem Steppengras und würzigen Wildblumen, das er mit erfrischendem Quellwasser hinunterzuspülen pflegt.
Für gewöhnlich gerät der Moschusochse beim dritten oder vierten Wiederkäuen seiner Morgenmahlzeit ins Grübeln, er philosophiert über den Sinn des Wiederkäuens und ob die hübsche junge Moschuskuh auf dem benachbarten Hochplateau heute wohl paarungsbereit sei.
Nach dem vierten Wiederkäuen bekommt er häufig Verdauungsprobleme und beschließt meist spontan, seine gewohnte Mittagsrunde über den Pass zu gehen.
Eines Tages trifft er dort auf einen verendeten Artgenossen. Er bleibt verdutzt und leicht unwillig ob der außerplanmäßigen Störung stehen, beschnuppert den Kadaver und entscheidet sich, noch eine Wildblume vom Wegesrand zu fressen.

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